Frau Trieb, Ihre Werke strahlen eine intensive Energie aus. Könnten Sie uns erläutern, wie Sie diesen lebendigen Eindruck in Ihrer Malerei erzielen?
In meiner Kunst geht es um die Energie des Moments, die durch meine Bewegung beim Malen zum Ausdruck kommt. Ich arbeite oft mit der Leinwand direkt auf dem Boden, umgeben von Farben und Werkzeugen, in einem Raum, der meine kreative Arena wird. Während ich mich um die Leinwand bewege, entsteht ein rhythmischer Dialog zwischen mir und dem Material. Das Auftragen der Farbe, sei es durch Schütten, Anheben der Leinwand oder mit dem Spachtel, ist ein dynamischer Prozess, der die Energie, die ich empfinde, auf die Leinwand überträgt. Diese Art des Malens ermöglicht es, dass jede Emotion, jede Regung in mir direkt in das Bild fließt und es mit einer sichtbaren Dynamik und Vitalität erfüllt.
Die direkte Berührung der Leinwand und Farben mit den Händen spielt also eine wesentliche Rolle in Ihrem Schaffensprozess?
Ja, absolut. Die direkte Berührung der Leinwand mit den Händen ist für mich ein Akt der Intimität mit meinem Werk. Es ist, als würde ich die Essenz meiner Gefühle in die Farbe einweben. Dieses sinnliche Erleben des Malens – das Fühlen der Farbtextur, die Wärme der Farben – schafft eine Bindung, die über das Visuelle hinausgeht. Es ist, als würde ich die Farbe nicht nur auftragen, sondern mit ihr kommunizieren, sie führen und zugleich von ihr geführt werden. Dieser Prozess verleiht meinen Werken eine Authentizität und Unmittelbarkeit, die schwer in Worte zu fassen ist.
Ihre Malerei scheint das Ergebnis einer spontanen, fast tänzerischen Bewegung zu sein. Ist das ein zutreffender Eindruck?
Das stimmt, besonders in den Anfangsphasen meiner Arbeiten. Meine Malerei beginnt oft mit einer spontanen, freien Bewegung, die dem Bild seine erste Lebenskraft gibt. Aber wie in einer Choreografie, die sowohl freie Improvisation als auch präzise Bewegungen umfasst, wechselt mein Ansatz, wenn ich mich den Details zuwende. In diesen Phasen wird meine Arbeit ruhiger und konzentrierter. Jeder Pinselstrich, jede Linie wird bewusst gesetzt, um die anfängliche Dynamik in eine ausgewogene, durchdachte Komposition zu überführen. Es ist dieser Wechsel zwischen Spontaneität und Kontrolle, der meinen Bildern ihre Tiefe und ihren Charakter verleiht.
Wird Ihr kreativer Prozess von Musik begleitet? Beeinflusst sie Ihren Malrhythmus?
Musik ist in den ersten Phasen des Malprozesses oft ein wichtiger Begleiter. Sie hilft mir, in eine Art Flow-Zustand zu gelangen, in dem die Außenwelt verschwindet und nur das Bild und ich existieren. Die Musik stimmt mich ein, erweckt Emotionen und setzt Energie frei. Doch sobald das Bild zu seiner eigenen Melodie findet, ziehe ich die Stille vor. Dann höre ich nur noch auf die Sprache der Farben und Formen, auf das, was das Bild mir zu sagen versucht.
In Ihren jüngsten Werken lässt sich eine bemerkenswerte Verschiebung zu einem ruhigeren, zurückgenommenen Stil feststellen. Könnten Sie uns mehr über die Entwicklung in diese Richtung erzählen?
In der letzten Zeit habe ich mich verstärkt mit der Reduktion und der Konzentration auf subtilere Ausdrucksformen auseinandergesetzt. Diese neueren Arbeiten reflektieren einen introspektiven Ansatz, bei dem ich die Stille ebenso wie die Lautstärke der Farben erforsche. Das feine Linienspiel ist ein meditativer Prozess, in dem ich die Essenz der Komposition destilliere und ein minimalistisches, doch tiefgründiges visuelles Vokabular entwickle. Diese Werke sind eine Reise in die Stille, eine Einladung, die Leinwand und die Emotionen, die sie birgt, genauer zu betrachten.
Bevorzugen Sie es, beim Malen allein zu sein?
Malen ist für mich ein tief persönlicher, fast meditativer Akt. Es ist eine Zeit, in der ich mich vollständig auf die Leinwand konzentriere und eine Verbindung zum Bild aufbaue. Diese Momente der Isolation sind notwendig, um von der anfänglichen Unordnung zu einem Gleichgewicht, zu einer Harmonie im Bild zu gelangen. Sie sind essenziell für meinen kreativen Prozess, da sie mir erlauben, mich vollständig in die Welt, die ich erschaffe, einzutauchen und mit ihr zu verschmelzen.
Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre außergewöhnlichen Bilder?
Inspiration finde ich überall – in den kleinen Details des Alltags, in der unendlichen Schönheit der Natur, in den tiefen Eindrücken, die Reisen hinterlassen. Diese Quellen der Inspiration vermischen sich mit meinen inneren Gefühlen und Erinnerungen und manifestieren sich auf der Leinwand. Es ist ein ständiges Sammeln und Verarbeiten von Eindrücken, ein Filtern der Welt durch meine eigene Wahrnehmung, das in meinen Bildern Gestalt annimmt.
Wie wirken sich die neueren, zurückgenommenen Arbeiten auf Ihren kreativen Prozess aus?
Diese subtileren Werke fordern von mir eine andere Art der Konzentration und Achtsamkeit. Der Prozess ist leiser, oft mehr in sich gekehrt, eine Art meditativer Praxis. Hier geht es weniger um die physische Aktion des Malens, sondern mehr um das sorgfältige Platzieren jeder Linie, jeden Farbtupfers. Es ist ein Tanz auf dem Drahtseil zwischen dem Ausdruck des Wesentlichen und der Wahrung von Leere und Raum. Es ist ein konzentrierteres, fast schon kontemplatives Vorgehen, bei dem jede Linie, jeder Farbton wohl überlegt ist und das mich gelehrt hat, die Kraft der Untertöne zu schätzen und die Stille als integralen Bestandteil meiner künstlerischen Sprache zu begreifen. Im Gegensatz dazu sind meine dynamischeren Werke oft das Ergebnis eines freieren, spontaneren Prozesses, bei dem ich mich von Emotionen und der Energie des Moments leiten lasse. Beide Herangehens-weisen sind essentiell für mein künstlerisches Schaffen und spiegeln die Bandbreite meiner Emotionen und Erfahrungen wider.
Sie begannen als Autodidaktin mit der Malerei. Was war der Wendepunkt, der Sie veranlasste, Ihre künstlerische Praxis zu vertiefen?
2012 war ein entscheidendes Jahr für mich. Eine berufliche Veränderung eröffnete mir die Möglichkeit, mehr Zeit und Energie meiner Malerei zu widmen. Ich begann, intensiv zu studieren, nahm Privatunterricht und besuchte freie Kunstakademien. Diese Erfahrungen ermöglichten es mir, verschiedene Techniken zu erlernen, mit unterschiedlichen Materialien zu experimentieren und letztendlich meinen eigenen Stil zu entwickeln und zu verfeinern. Es war eine Zeit des intensiven Lernens und Wachsens, die mich zu der Künstlerin gemacht hat, die ich heute bin.
Ihre künstlerische Entwicklung scheint sich jeder Festlegung zu widersetzen. Ist das eine bewusste Entscheidung?
Künstlerische Freiheit ist für mich von größter Bedeutung. Ich möchte mich nicht auf einen bestimmten Stil oder eine Technik beschränken lassen. Das Experimentieren, das Erforschen neuer Möglichkeiten ist der Kern meiner Arbeit. Es geht mir darum, wie sich Farben und Materialien zueinander verhalten, wie sie sich verändern und entwickeln. Diese Dynamik ist es, die meine Bilder lebendig macht und ihnen ihre einzigartige Qualität verleiht. Ich möchte, dass jedes Bild ein Spiegel meiner ständigen künstlerischen Evolution ist.
Haben Sie zu Beginn eines neuen Werks bereits eine klare Vorstellung davon, wie es am Ende aussehen soll?
Früher begann ich oft ganz spontan und ließ das Bild seinen eigenen Weg finden. Heute gehe ich methodischer vor, aber ich bin immer offen dafür, dass das Bild eine eigene Dynamik entwickelt. Jedes Bild ist eine Entdeckungsreise, ein Prozess des Schichtens und Überlagerns. Oft fordert mich jede neue Schicht heraus, bringt mich an meine Grenzen und zwingt mich, meine ursprünglichen Pläne zu überdenken.
Stellen Sie sich Ihre künstlerische Arbeit als Dialog vor, in dem Sie und das Bild miteinander interagieren. Wie gestaltet sich dieser Austausch?
Dieser Dialog ist wie eine tiefgreifende Konversation mit einem guten Freund, die sich über Wochen oder sogar Monate erstrecken kann. Es ist ein ständiges Geben und Nehmen. Manchmal führt das Bild, manchmal leite ich. Während dieses Prozesses entsteht eine tiefe Verbindung, die es mir erlaubt, intuitiv zu spüren, was das Bild braucht. Es ist ein Prozess des Erkennens und Reagierens, ein Tanz zwischen meinen Absichten und den Überraschungen, die das Bild bereithält. Diese Beziehung ist essentiell für die Entstehung meiner Werke; sie ermöglicht es mir, über meine ursprünglichen Vorstellungen hinauszugehen und etwas wirklich Einzigartiges zu schaffen.
Wie haben Sie zur Malerei gefunden?
Meine erste Berührung mit der Kunst war durch die Keramik. Die direkte Arbeit mit dem Material, das Formen und Gestalten mit den Händen, hat mein Verständnis von Textur und Farbe geprägt. Diese sinnlichen Erfahrungen fanden ihren Weg in meine Malerei. Die Erinnerung an die Gemälde meines Onkels, die in meiner Kindheit eine große Faszination auf mich ausübten, war ebenfalls ein prägender Einfluss. Diese frühen Begegnungen mit der Kunst weckten in mir eine Sehnsucht, mich kreativ auszudrücken, die über die Jahre immer stärker wurde.
Liegt die Malerei in Ihren Genen?
Das würde ich nicht unbedingt sagen. Obwohl die Bilder meines Onkels eine frühe Inspiration waren, habe ich meinen eigenen Weg in der Kunst gefunden. Seine Werke waren ein Fenster in eine Welt, die mich faszinierte, aber meine Reise in die Malerei ist das Ergebnis meiner eigenen Entdeckung und Leidenschaft.
Würden Sie, wenn Sie die Möglichkeit hätten, direkt als Malerin beginnen?
Rückblickend wäre es eine spannende Vorstellung, von Anfang an diesen Pfad eingeschlagen zu haben. Aber mein Weg zur Malerei, über Umwege und andere kreative Ausdrucksformen, hat mir wertvolle Erfahrungen und Einsichten gebracht. Diese Erfahrungen sind ein integraler Bestandteil dessen, wer ich heute als Künstlerin bin.
Was bedeutet Malen für Sie?
Malen ist für mich Energie, Rhythmus, Emotion – es ist eine unendliche kreative Reise, die mich immer wieder zu neuen Ufern führt. Jedes Bild ist ein neues Abenteuer, eine neue Entdeckung, die mir Freude und Erfüllung bringt.
Fällt es Ihnen schwer, sich von Ihren Bildern zu trennen?
Jedes meiner Bilder ist ein Stück von mir, eine Herzensangelegenheit. Es gibt einige Werke, die ich als zu persönlich empfinde, um sie zu verkaufen. Aber im Großen und Ganzen empfinde ich Freude, wenn ein Bild ein neues Zuhause findet. Es ist ein Zeichen dafür, dass meine Kunst Resonanz gefunden hat und nun ein Teil von jemand anderem Leben wird.
Wie viele Werke befinden sich derzeit in Arbeit in Ihrem Atelier?
In meinem Atelier finden sich stets mehrere Werke in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Ich arbeite nicht ständig an jedem einzelnen, aber sie alle sind präsent und Teil meines kreativen Prozesses. Es ist ein kontinuierliches Überdenken und Reflektieren, ein Abwägen, was jedes Bild benötigt, um vollendet zu sein. Diese Zeiten der Betrachtung sind ebenso wichtig wie die Momente des aktiven Malens.
Was halten Sie von dem Vorurteil, dass abstrakte Malerei jeder machen könne?
Abstrakte Malerei ist mehr als das bloße Auftragen von Farbe auf eine Leinwand. Es geht um die Fähigkeit, Emotionen, Eindrücke und innere Landschaften in eine visuelle Form zu übersetzen. Jeder Mensch trägt kreative Potenziale in sich, doch die Kunst liegt darin, diese zu entdecken und zu kultivieren. Abstrakte Malerei fordert ein tiefes Verständnis von Farbe, Form, Textur und Komposition, gepaart mit der Fähigkeit, sich emotional und intuitiv auszudrücken.
Haben Sie manchmal den Wunsch, etwas Konkretes zu malen?
Im Moment ist die abstrakte Malerei meine Leidenschaft und das Medium, durch das ich mich am besten ausdrücken kann. Aber die Kunst ist ein ständiger Entwicklungsprozess. 'Nie' ist ein Wort, das man in der Kunst nicht verwenden sollte.
Warum geben Sie Ihren Bildern keine Titel?
Indem ich meine Bilder ohne Titel lasse, eröffne ich dem Betrachter die Freiheit, seine eigene Verbindung zum Werk zu finden. Ich möchte, dass jedes Bild eine persönliche Resonanz erzeugt, eine individuelle Geschichte, die der Betrachter selbst erschafft.
Was ist der Zweck des "Scribblens" auf Ihren Leinwänden, das später übermalt wird?
Das 'Scribblen' ist ein wichtiger Teil meines Prozesses. Es ist wie das Anschlagen der ersten Noten eines Musikstücks, das den Ton für das gesamte Werk setzt. Diese ersten Markierungen helfen mir, eine Struktur aufzubauen, eine Richtung zu finden und zunächst die Leere der Leinwand zu brechen. Auch wenn sie später übermalt werden, sind sie der Ausgangspunkt für die Entwicklung des Bildes.
Welche Rolle spielen andere KünstlerInnen für Sie? Mit wem würden Sie gerne mal einen Tag im Atelier verbringen?
Helen Frankenthaler und Joan Mitchell sind für mich große Inspirationsquellen. Ihr Umgang mit Farbe und Form, ihre intuitive und spontane Herangehensweise an die abstrakte Malerei, beeinflusst meine eigene Arbeit tiefgehend. Ein Tag im Atelier mit ihnen wäre eine unschätzbare Gelegenheit, von ihrer Kreativität und ihrem künstlerischen Geist zu lernen.
Eine letzte Frage: Wenn Sie nur noch mit zwei Farben malen dürften, welche wären das?
Wenn ich mich auf zwei Farben beschränken müsste, wären es Rot und Blau. Rot für seine Leidenschaft und Energie, Blau für seine Tiefe und Ruhe. Beide zusammen bieten ein unendliches Spektrum an emotionalen und visuellen Möglichkeiten.